Wie in WerkstÀtten abseits traditioneller Lehrerbildung die hohe Schule der Didaktik gepflegt wird
Didaktisch fundiertes Vermitteln von Schulstoff sollte eigentlich den Funken springen lassen zwischen der Lehrperson und der Klasse. Wie aber ein Feuerwerk zĂŒnden, wenn vielenorts Didaktik nicht eben zur Kernkompetenz vieler Vortragender gehört?
Die Frage stellten sich auch die Initianten des internationalen Schulmodells «Lehrkunst», und sie entwickeln fĂŒr sĂ€mtliche FĂ€cher und Schulstufen seit Jahren sogenannte «Best-Practice-LehrstĂŒcke», die an Schulen in der Schweiz und in Deutschland angewandt werden. Eine ebenso reichhaltige Fachliteratur erhellt die Thematik. Die Schweizer Akteure der Initiative betreiben eine Website (www.lehrkunst.ch) und kooperieren fallweise.
Das volle Bierglas im Wasser
Worum genau geht es bei dieser Lehrkunst-Didaktik? Wichtige Menschheitsthemen sollen gemeinsam von der Lehrperson und von den Lernenden «kulturauthentisch» inszeniert und damit verstĂ€ndlich gemacht werden. Diese in Analogie zu Stefan Zweigs «Sternstunden der Menschheit» benannten epocheprĂ€genden Ereignisse werden fĂŒr den Unterricht gegliedert (Dramaturgie) und â oft in kollegialer Zusammenarbeit â nach allen Regeln der didaktischen Kunst zu LehrstĂŒcken aufbereitet. Der ThemenfĂ€cher umfasst alle Bereiche menschlichen Lebens wie auch alle Epochen â angefangen in der Antike beispielsweise mit dem Satz des Pythagoras, ĂŒberleitend ins Mittelalter mit der heimatlichen Kathedrale bis in die Neuzeit, exemplifiziert etwa in Goethes «Italienischer Reise».
Auch ganz banal anmutende Experimente können als Einstieg in ein LehrstĂŒck dienen, wie jenes mit dem Bierglas. Dabei sitzen die SchĂŒler zusammen mit dem Lehrer an einem Tisch und tauchen ein gefĂŒlltes Bierglas umgekehrt ins Wasser. Wie erklĂ€ren nun die SchĂŒler das PhĂ€nomen, dass beim Herausziehen das Bierglas nicht auslĂ€uft?
Manchen Zuschauern hilft selbst der Blick ins Physikbuch nicht aus der Klemme; denn fĂŒr viele klafft zwischen RealitĂ€t und Theorie eine unĂŒberbrĂŒckbare Kluft. Diese LĂŒcke will man mit der Lehrkunst auffĂŒllen und die FĂ€higkeit vermitteln, die VorgĂ€nge aus eigener Einsicht zu verstehen. Ach, ĂŒbrigens: Beim Bierglas-Experiment lĂ€uft das Wasser aufgrund des herrschenden Luftdrucks nicht aus dem BehĂ€ltnis aus.
Der Vorgang ist exemplarisch: Eine beispielhafte Erscheinung der Physik, hier also der Luftdruck, wird von der Lehrperson so dargestellt und wirksam inszeniert, dass die Lernenden Lust bekommen, der Sache auf den Grund zu gehen. Das behutsam gelenkte GesprĂ€ch soll sie zur richtigen Einsicht fĂŒhren, auf just jenen Wegen, welche die Menschheit schon einmal gegangen ist. Zur Anwendung kommen nicht etwa allgemeine Lerntheorien. Man setzt vielmehr auf inhaltlich determiniertes, praxisnahes Lernen.
Aktiv in mehreren Kantonen
LehrkunstwerkstĂ€tten bestehen oder bestanden in Marburg, Bern, Winterthur, ZĂŒrich, Trogen, Luzern, im Thurgau, neu auch in Basel und in Bielefeld. Die Akteure wollen sich nicht als glĂŒhende Aficionados verstanden wissen, schĂ€tzen hingegen die Möglichkeit, bei kollegialer Zusammenarbeit den eigenen Horizont ĂŒber das Fach hinaus zu erweitern und bei der Arbeit an eigenen LehrstĂŒcken immer wieder einen neuen, ungewohnten Blick auf scheinbar Vertrautes zu werfen. Dies erfordert persönliches Engagement, ausreichend Zeit â sowie die innere Ăberzeugung, fehlt doch der institutionelle Zwang zur EinfĂŒhrung der Lehrkunst.
Herausgewachsen ist die Lehrkunst-Didaktik aus der ReformpĂ€dagogik (Martin Wagenschein), orientieren tut sie sich am Humboldtschen Menschenbild. Da das deutsche Schulsystem den Lehrpersonen weniger Freiheit bei der Lehrplangestaltung einrĂ€umt als das schweizerische, fand und findet die Lehrkunst-Didaktik hierzulande mehr AnhĂ€nger als im Ursprungsland. Am meisten zu ihrer Entwicklung beigetragen hat der Marburger Erziehungswissenschafter Hans Christoph Berg, der am 13. August dieses Jahres seinen 75. Geburtstag feiert. Er markiert mit einer bis Ende September 2012 verlĂ€ngerten PrĂŒfungsbefugnis am Institut fĂŒr Erziehungswissenschaft der Philipps-UniversitĂ€t Marburg unverĂ€nderte akademische PrĂ€senz.
Zweifellos kann die Lehrkunst-Didaktik dank ihren VorzĂŒgen â vorab wirksame Unterrichtspraxis, mehrdimensionaler Blick auf Bildung, selbstĂ€ndiges Angehen von SchlĂŒsselproblemen â einiges bewegen. Andererseits braucht es immer wieder Anstösse seitens des Lehrkörpers zu ihrer Implementierung und Weiterentwicklung. Auch muss sie sich bisweilen gegen Unterstellungen angeblichen Sektierertums zur Wehr setzen. FĂŒr Aussenstehende gewöhnungsbedĂŒrftig ist die etwas forciert wirkende Methodentrias «exemplarisch â genetisch â dramaturgisch». Konkret meint «exemplarisch» die Behandlung von SchlĂŒsselthemen, zu deren Lösung originĂ€re, «genetische» Quellen in Form kultureller Vorbilder herangezogen und ausgewertet werden. «Dramaturgisch» werden daraus LehrstĂŒcke aufbereitet, die dank ihrer attraktiven Form heutige Jugendliche ansprechen â und zum Denken anregen sollen.
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