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Sek II

Frischs Stiller

anfuehrumgszeichemOhne Mitmachen ist der Stiller weder zu lesen noch zu begreifen,“ schrieb Dürrenmatt gleich nach dem Erscheinen über den berühmtesten Roman seines Freundes Max Frisch. Diesen Rat wollen wir ernst nehmen und Frischs eigene Lehridee aufnehmen: Jemandem über seine Biographie zu berichten sei eine Sache, sagte Frisch 1984 im Rückblick auf seinen „Stiller“-Roman, eine ganz andere aber das Experiment, das er 30 Jahre zuvor mit sich selbst angestellt habe und das er jetzt allen empfehle: „Ich lade Sie ein in eine Villa in der Toscana, und Sie dürfen nicht herauskommen, sie bekommen dort alles zum Essen und so weiter, bevor Sie 77 erfundene Geschichten geschrieben haben (…): nach diesen 77 Geschichten weiss ich über Sie sehr viel mehr, als was sie mir in Ihrer Biographie erzählt haben, und wenn ich Ihnen die Geschichten zeige, dann wissen Sie viel mehr.“

Mit dieser Erklärung verstehen wir sofort auch das Grund-Arrangement dieses Romans, in dem der Erzähler Stiller schon zu Beginn (wegen Einreise mit falschem Pass) 1954 in einem Zürcher Gefängnis festsitzt und nicht (mehr) der sein will, wofür ihn die andern vor sechs Jahren gehalten hatten, als er nach Amerika türmte. Wir nehmen die Aufforderung seines Verteidigers, die Wahrheit über sein Leben in ein Heft zu schreiben, gleich auf, und in Anlehnung an Stillers Urschrei „Ich bin nicht Stiller!“ heisst unsere erste Geschichte: „Ich bin nicht der/die auf meinem Pass!“

Sodann besuchen wir Frisch 1954 in seinem selbst gewählten Hotel-Gefängnis am Genfersee, blicken ihm über die Schulter und sehen, wie er aus seinem biographischen Material (vorgeformt etwa im „Ur-Stiller“, dem Hörspiel Rip van Winkle, und im seinem ersten Tagebuch 1946-1949) seinen Roman aus den 77 Geschichten montiert. Geleitet von der Sog-Frage, die wir quer über das Denkbild (vgl. Foto) an der Wandtafel setzen: „Wie erzähle ich mir und den andern, wer ich (in Wahrheit) bin?“

Die Klasse und ihre Identitätskarten.

Die Klasse und ihre Identitätskarten.